Sicherheit medizintechnischer Netzteile: die ultimative AC/DC-Herausforderung?

Momentan stehen zwar oft batteriebetriebene Geräte im Fokus, es gibt aber viele Situationen, in denen die Stromversorgung eines Geräts über das Wechselstromnetz erfolgen muss. Ursache hierfür können die konkreten Laufzeitanforderungen, eine übermäßige Größe der ansonsten benötigten Batterien oder sogar einfach der Benutzerkomfort sein. Wenn das Wechselstromnetz die primäre Stromquelle ist, muss das entsprechende AC/DC-Netzteil natürlich mehrere Sicherheitsstandards erfüllen, die ganz allgemein für Netzteile gelten. Doch die Standards und Vorschriften für medizintechnische Netzteile sind noch einmal eine ganz andere Liga.

So legt beispielsweise die Norm IEC 62368-1, die im Dezember 2020 in Kraft treten wird, HBSE-Vorgaben (Hazard-Based Safety Engineering) für Audio/Video- und ICT-Geräte (Information/Communication Technology) fest, wozu unter anderem deren Netzteile zählen. Aber diese Norm gilt bisher nicht für ein wichtiges Anwendungsgebiet: für medizintechnische Geräte, die Kontakt zum Patienten haben. Und das hat einen Grund.

Wenn Sie glauben, die Einhaltung der Vorgaben von IEC 62368-1 sei eine Herausforderung, dann sollten Sie sich vor Augen führen, was Entwickler von medizintechnischen Geräten berücksichtigen müssen, um IEC 60601-1 (4. Ausgabe), Medizintechnische elektrische Geräte – Teil 1: Allgemeine Festlegungen für die Sicherheit einschließlich der wesentlichen Leistungsmerkmale einzuhalten. Diese Norm umfasst ein ganzes Paket von Sondernormen für Geräte, die während ihres normalen Gebrauchs absichtlich oder wahrscheinlich in Kontakt mit Patienten kommen können.

Diese strenge Norm umfasst drei Klassifizierungen für das „Anwendungsteil“, das möglicherweise Patientenkontakt hat:

  • Typ B (Body, Körper) für Anwendungsteile, die im Allgemeinen nicht leitfähig sind und die an die Erde (als Masse) angeschlossen sein können. Das sind zum Beispiel Röntgengeräte, Krankenhausbetten, LED-OP-Lampen und MRT-Scanner.
  • Typ BF (Body Floating, Körper Potentialfrei) für Anwendungsteile, die mit dem Patienten verbunden sein können und von der Erde isoliert sein müssen, etwa Blutdrucküberwachungsgeräte, Ultraschallausrüstung und Thermometer.
  • Typ CF (Cardiac Floating, Herz Potentialfrei) für Anwendungsteile, die für direkten Kontakt zum Herz geeignet sind. Auch hier ist eine Isolation zur Erde vorgeschrieben.

Zu den vielen Anforderungen zur Einhaltung der Norm IEC 60601 gehört, dass jedes Gerät mit zwei unabhängigen Sicherheitsvorkehrungen (Means of Protection, MOP) ausgestattet sein muss, die verhindern, dass Anwendungsteile und andere zugängliche Teile die definierten Grenzwerte für Spannung, Strom und Energie überschreiten. So gilt beispielsweise eine zulässige Erdverbindung als eine MOP, und auch die Basisisolierung ist eine MOP, während eine verstärkte Isolierung als zwei MOPs gilt.

Um die Situation noch komplizierter zu machen: Die Anzahl der erforderlichen MOPs hängt davon ab, ob diese Schutzvorkehrung dem Schutz des Anwenders (Means of Operator Protection, MOOP) oder des Patienten (Means of Patient Protection, MOPP) dient. Je nach vorgesehener Endanwendung des Systems (Typ B, BF oder CF) können unterschiedliche Anzahlen von MOPPs notwendig sein. Zum Beispiel sind für Stromversorgungssubsysteme, die für Typ BF und CF vorgesehen sind, zwei MOPPs zwischen der Primär- und Sekundärseite des Netzteils vorgeschrieben.

Bei der Netzteilsicherheit geht es nicht nur um MOPs

Schon jetzt sind diese Anforderungen an medizintechnische Netzteile zwar schwer zu erfüllen, aber sie sind noch nicht extrem. Aber das ist noch nicht alles: Es gibt auch Einschränkungen bei Arten und Beträgen des Leckstroms. Obwohl die konkreten Grenzwerte sich danach richten, ob es sich um Patientenableitstrom oder Leckstrom handelt und ob dieser unter normalen oder Störungsbedingungen auftritt, liegen die Leckstromwerte in der Größenordnung von 100 Mikroampere und darunter. Dies ist eine sehr strenge Spezifikation für ein Netzteil, denn der Leckstrom ist abhängig von der Konstruktionsweise des Transformators und von Layout und Fertigung der Platine. Die Herausforderung für Entwickler von Netzteilen besteht darin, einerseits für die nötige galvanische Trennung zu sorgen, aber andererseits nicht die strengen Leckstromgrenzen für den Betrieb unter Normal- und Störungsbedingungen zu überschreiten.

Doch die Vorschriften für medizintechnische Netzteile sind hiermit noch nicht erschöpft, denn die letzte Ausgabe von IEC 60601 legt auch noch zahlreiche EMV-Anforderungen fest. Zunächst muss das medizinische Gerät störfest gegenüber RFI/EMI sein, und obwohl Netzteile im Allgemeinen nicht so empfindlich wie die Elektronik sind, können sie doch durch ESD (elektrostatische Entladung) negativ beeinträchtigt oder „gestört“ werden. Zweitens darf das Netzteil selbst keine EMI/RFI jenseits der festgelegten Grenzwerte erzeugen. Die 4. Ausgabe von IEC 60601 schreibt strengere Tests für medizintechnische Geräte – einschließlich ihrer Netzteile – hinsichtlich ESD, Störfestigkeit gegen abgestrahlte HF, schnelle elektrische Transienten sowie Spannungseinbrüche, -abfälle und -unterbrechungen vor (Tabelle 1).

Tabelle 1: Wesentliche Veränderungen bei den Testwerten zur Störfestigkeit zwischen der 3. und 4. Ausgabe von IEC 60601-1-2. (Tabellenquelle: CUI Inc.)

Die Haupterkenntnis hieraus ist, dass die Entwicklung, Implementierung und Genehmigung für Netzteile, die für medizintechnische Anwendungen vorgesehen sind und die Anforderungen und Grenzwerte der jeweils geltenden Norm IEC 60601-1 erfüllen müssen, eine äußerst schwierige Angelegenheit ist. Es reicht nicht, dass die grundlegende Stromversorgung in Bezug auf die herkömmlichen Parameter wie Spannungs- und Stromausgang, Leitungs- und Lastregelung, Wirkungsgrad und Stabilität im zeitlichen Verlauf und im gesamten Temperaturbereich mit „gut“ bewertet wird, sondern sie muss auch den komplexen und strengen Vorschriften gerecht werden.

Doch zum Glück umfasst das Angebot einiger Hersteller inzwischen AC/DC-Netzteile, bei denen sich die Anwender keine Sorgen um die Einhaltung der Vorgaben von IEC 60601-1 machen müssen. So bietet beispielsweise CUI Inc. sowohl Netzteile in offener Bauform, die im Inneren von Produkten verbaut werden können, als auch gekapselte Netzteile zur externen Anwendung an.

Zum Beispiel ist das SWM30-12-NV-P5 ein wandmontierbares Netzteil mit 12 Volt und 3 Ampere (A) Ausgang, das auf den ersten Blick aussieht wie viele dieser billigen Wandnetzteile. Doch dieser Eindruck täuscht. Dieses Gerät mit universellem Eingangsbereich (90 bis 264 VAC) gehört zu einer Familie von Geräten mit fixem Ausgang von ~30 W (von 5 V bis 48 V DC), welche die Anforderungen von UL60601 (4. Ausgabe) uneingeschränkt erfüllen.

Abbildung 1: Das SWM30-12-NV-P5 ist ein wandmontierbares Netzteil mit 12 Volt und 36 Watt Einzelausgang, das zu einer Familie von AC/DC-Netzeilen mit fixem Ausgang gehört, die alle Vorschriften von IEC 60601-1 (4. Ausgabe) einhalten. (Bildquelle: CUI Inc.)

Für Designs mit intern verbautem Netzteil ist das VMS-100-24 eine Stromversorgungslösung für 24 Volt und 4,2 A (Abbildung 2). Auch dieses Gerät gehört zu einer „Familie“ von Geräten mit universellem Eingang, die einen einzelnen festen Ausgangswert bieten: 5 bis 48 V mit bis zu 100 W. Seine Verlustleistung, wenn keine Last anliegt, beträgt weniger als 0,5 W, und es verfügt über ein umfangreiches Paket an Schutzeinrichtungen sowie über eine Leistungsfaktorkorrektur, die ebenfalls von den geltenden Regelwerken vorgeschrieben ist.

Abbildung 2: Für Designs mit intern verbautem Netzteil eignet sich das VMS-100-24, ein Gerät mit 24 Volt und 4,2 A am Ausgang, das zu einer Familie von 5- bis 48-Volt-Netzteilen mit einer Leistung von 100 Watt gehört. (Bildquelle: CUI Inc.)

Fazit

Es hat keinen Zweck, die Realität zu beschönigen: Die Entwicklung von netzteilbetriebenen medizintechnischen Geräten ist eine äußerst schwierige Angelegenheit. Und das nicht nur wegen ihrer medizintechnischen Hauptfunktion, sondern auch aufgrund der zahlreichen Vorschriften und Normen in Bezug auf ihre Sicherheit, die sie erfüllen und einhalten müssen.

Ein Design-Ansatz, um diesen Normen gerecht zu werden, ist es, Komponenten und Subsysteme, die ihrerseits den geltenden Normen entsprechen, als Bausteine für das Gesamtdesign zu verwenden. In den meisten Fällen ist es einfacher, solche Bausteine zu nutzen, als zunächst ein komplettes System mit nicht normgerechten Komponenten zu entwickeln, das dann irgendwie „aufgerüstet“ werden muss, um den Anforderungen zu entsprechen. Netzteile wie die von CUI sind wichtige Elemente bei der praktischen Umsetzung dieses Ansatzes.

Zugehörige Digi-Key-Ressourcen:

Medizintechnische Netzteile und die Normen von IEC 60601-1 für medizintechnische Geräte

Externe Netzteile für die Medizintechnik

AC/DC-Netzteile mit hoher Leistungsdichte für die Medizintechnik

Netzteile für die Medizintechnik

Referenzen (alle von CUI)

IEC 60601-1 - Medizinische Designstandards für Netzteile

IEC 60601-1-2, 4. Auflage: Was Sie wissen sollten

Bereiten Sie sich auf die 4. Ausgabe des medizintechnischen Standards IEC 60601-1 vor

Über den Autor

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Bill Schweber ist ein Elektronikingenieur, der drei Lehrbücher über elektronische Kommunikationssysteme sowie Hunderte von Fachartikeln, Stellungnahmen und Produktbeschreibungen geschrieben hat. In früheren Funktionen arbeitete er als technischer Website-Manager für mehrere themenspezifische Websites für EE Times sowie als Executive Editor und Analog Editor bei EDN.

Bei Analog Devices, Inc. (einem führenden Anbieter von Analog- und Mischsignal-ICs) arbeitete Bill in der Marketingkommunikation (Öffentlichkeitsarbeit). Somit war er auf beiden Seiten des technischen PR-Bereichs tätig. Einerseits präsentierte er den Medien Produkte, Geschichten und Meldungen von Unternehmen und andererseits fungierte er als Empfänger derselben Art von Informationen.

Vor seinem Posten in der Marketingkommunikation bei Analog war Bill Mitherausgeber der renommierten Fachzeitschrift des Unternehmens und arbeitete auch in den Bereichen Produktmarketing und Anwendungstechnik. Zuvor arbeitete Bill bei Instron Corp. als Designer von Analog- und Leistungsschaltungen sowie von integrierten Steuerungen für Materialprüfmaschinen.

Er verfügt über einen MSEE (University of Massachusetts) und einen BSEE (Columbia University), ist ein registrierter Fachingenieur und hat eine Amateurfunklizenz für Fortgeschrittene. Darüber hinaus hat Bill Online-Kurse zu verschiedenen Themen geplant, verfasst und abgehalten, etwa zu MOSFET-Grundlagen, zur Auswahl von Analog/Digital-Wandlern und zur Ansteuerung von LEDs.

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