Die 4. Ausgabe der Normen für medizinische Geräte beeinflusst die Auswahl der Netzteile und mehr
2018-05-24
Die technische Norm IEC 60601-1 für medizinische elektrische Geräte wurde aktualisiert, da neue Nutzungsarten und Erwartungen höhere Anforderungen an Sicherheit und Effektivität stellen. In Nordamerika und der EU wurde die neueste Version der Norm – die 4. Auflage – zuerst eingeführt. Seit dem 1. Januar müssen Produkte, die in diese Märkte eingeführt werden, nun den neuen Anforderungen entsprechen, und es wird erwartet, dass andere Gebiete diesem Beispiel folgen.
Für Hersteller medizinischer Geräte besteht die beste Antwort darin, die neuen Normen sofort zu verstehen und entsprechend neue Produkte zu entwickeln. Die 4. Ausgabe enthält verschiedene Änderungen, so etwa eine Verschärfung der Grenzwerte der elektromagnetischen Verträglichkeit (EMC). Diese wurde notwendig angesichts der allgemein zunehmenden Nutzung von drahlosen Geräten wie Smartphones und Wearables und neuen Einsatzumgebungen für medizinische Geräte, beispielsweise im Wohnbereich. Insgesamt betreffen die Ergänzungen den Design- und Dokumentationsprozess von Produkten sowie Funktionen und Leistung.
Hintergrund zur Norm IEC 60601-1
Die Norm IEC 60601-1 ist eine Normenreihe, die die Basisnorm 60601-1-1 sowie verschiedene Ergänzungsnormen (60601-1-x) umfasst, die bestimmte Aspekte abdecken, z. B EMV (60601-1-2). Eine weitere Ergänzungsnorm ist die Norm 60601-1-11, die vor Kurzem für Geräte für die häusliche Krankenpflege eingeführt wurde.
Des Weiteren gibt es sogenannte „Partikularnormen“ (60601-2-x), in denen Anforderungen für bestimmte Produkttypen definiert sind. Ein Beispiel hierfür ist die Norm 60601-2-16, die Geräte zur Dialyse und Blutfiltration abdeckt.
Derzeit wird in vielen Gebieten auf die 3. Ausgabe der Norm 60601-1 verwiesen. Dies trifft neben den USA, Kanada und der EU auf Japan, Brasilien und Südkorea zu. Die 3. Ausgabe wurde erst kürzlich selbst von 3.0 auf 3.1 aktualisiert (um über 500 Änderungen und Erläuterungen) und in einigen Gebieten muss diese Aktualisierung erst noch umgesetzt werden. Darüber hinaus findet in China und Taiwan weiterhin die 2. Ausgabe Verwendung.
Die aktuellste Ergänzung zur Norm 60601-1 ist als die 4. Ausgabe bekannt. Indem sie tiefer in die EMV-Problematik eintauchen, die durch die Ergänzungsnorm 60601-1-2 abgedeckt ist, decken die Ergänzungen nunmehr eine beträchtliche Anzahl der Aspekte der Norm 60601-1 als Ganzes ab.
Geänderte Ansätze bei Sicherheit und Funktionalität
Ausgehend vom herkömmlichen Ansatz, Normen festzulegen, bei dem üblicherweise die Vorgabe von Gerätefunktionen und -leistung favorisiert wurde, weisen die 2. Ausgabe und nachfolgende Ausgaben der Norm 60601-1 einen zunehmenden Fokus auf Risikoanalysen und gefahrenbasierte Designprinzipien auf. Dies kann letztendlich das Design sicherer Systeme fördern, die zuverlässiger und für ihre Betriebsumgebung besser geeignet sind. Damit ein Produkt erfolgreich zertifiziert wird, muss die Dokumentation eingereicht werden, um zu belegen, dass angemessene Analysen durchgeführt und die Ergebnisse beim Design des Geräts berücksichtigt wurden.
Mit der 2. Ausgabe wurden drei Produktkategorien eingeführt, auf einer Skala des zunehmenden Risikos aus Sicht des Patienten:
- Typ B (Body, Körperbezug): Geräte, die in demselben Raum und innerhalb eines Radius von 1,8 Meter um den Patienten herum verwendet werden
- Typ BF (Body Floating, Körperbezug mit Stromfluss): Geräte, die in Kontakt mit der Haut des Patienten kommen, z. B. ein Blutdruckmessgerät
- Typ CF (Cardiac Floating, Herzbezug mit Stromfluss): Geräte, die in Kontakt mit dem Herz des Patienten kommen, z. B. ein Herzschrittmacher oder Defibrillator
Mit der 3. Ausgabe wurde berücksichtigt, dass für Anwender und Patienten auf verschiedene Weise die Gefahr eines Stromschlags besteht. Dementsprechend führte sie das Konzept der Schutzmaßnahmen (MOP, Means of Protection) als Ersatz für die Isolierung ein. Dieses Konzept gestattete eine separate Betrachtung der Maßnahmen zum Schutz des Patienten (MOPP, Means of Patient Protection) und des Anwenders (MOOP, Means of Operator Protection). Für jede MOP-Kategorie gelten unterschiedliche Spezifikationen für Isolation und Kriechstrecken (siehe Tabelle 1).
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Tabelle 1: Spezifikationen für Isolation und Kriechstrecken zum Schutz von Anwendern (MOOP) und Patienten (MOPP) gemäß der 3. Ausgabe.
Die 4. Ausgabe baut auf diese Prinzipien auf und erweitert den auf Risikoanalysen basierenden Ansatz. Im Hinblick auf moderne Gesundheitsdienstleistungen (z. B. Telemedizin und Selbstüberwachung) und die hierfür entwickelten neuen Geräteklassen ersetzt sie die vorherigen Klassen, die lediglich zwischen lebenserhaltenden und nicht lebenserhaltenden Geräten unterschieden, durch drei Kategorien der beabsichtigten Verwendung:

Abbildung 1: Kategorien der beabsichtigten Verwendung für medizinische Geräte (Bildquelle: CUI, Inc)
Während in der 3. Ausgabe bei den Störfestigkeitsangaben angenommen wurde, dass professionelle Anwender dazu in der Lage sind, in der näheren Umgebung medizinischer Geräte ein „ruhiges“ elektromagnetisches Umfeld zu schaffen, wird mit der 4. Ausgabe berücksichtigt, dass diese Annahme angesichts der schieren Omnipräsenz von drahtlosen Geräten wie Smartphones, Wearables und sonstigen Geräten, die überall und jederzeit im Einsatz sind, nicht länger praktikabel ist. Die strengeren Testspezifikationen, die in der 4. Ausgabe definiert sind, sollen die Störfestigkeit gegenüber allen diesen Interferenzquellen gewährleisten. Die Tabellen 2, 3 und 4 vergleichen die Spezifikationen der 3. und der 4. Ausgabe bezüglich Störfestigkeit gegen abgestrahlte HF-Felder, schnelle Transienten und Leistungsinstabilität.
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Tabelle 2: Störfestigkeitsangaben für abgestrahlte HF-Felder
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Tabelle 3: Störfestigkeit gegen schnelle elektrische Transienten
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Tabelle 4: Störfestigkeit gegen Leistungsschwankungen
Da die Norm 60601-1 nicht länger den herkömmlichen präskriptiven Ansatz verfolgt, müssen Hersteller verstärkt darauf achten, neue Produkte zusammen mit einer hochwertigen Dokumentation zur Zertifizierung einzureichen. Diese Dokumentation enthält eine detaillierte Beschreibung der Designanalyse und des Designprozesses, eine Begründung der Vorgehensweise sowie Erläuterungen dazu, warum bestimmte Elemente verwendet bzw. weggelassen wurden.
Trotz dieses philosophischen Wandels stehen auch weiterhin die grundlegende Sicherheit und die wesentlichen Leistungsmerkmale im Mittelpunkt. Die grundlegende Sicherheit setzt voraus, dass keinerlei unannehmbare Risiken bestehen, die direkt durch physikalische Gefahren verursacht werden, wenn das Gerät verwendet wird. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „wesentliche Leistungsmerkmale“ in späteren Ausgaben klarer definiert wurde und sich nunmehr speziell auf Funktionen bezieht, die durch ihr Nichtvorhandensein oder bei Nichteinhaltung der für sie durch den Hersteller vorgegebenen Grenzwerte zu unannehmbaren Risiken führen könnten.
Auswahl und Sicherheit der Netzteile
Aus der Unterscheidung zwischen Geräten vom Typ B, BF und CF in der 2. Ausgabe und dem Grundprinzip der Schutzmaßnahmen in der 3. Ausgabe geht eindeutig hervor, dass die Eigenschaften des Netzteils großen Einfluss darauf haben, ob das Gerät den Sicherheitsanforderungen genügt. Die in Tabelle 1 beschriebenen Isolationsanforderungen setzen Netzteile voraus, die speziell für medizinische Anwendungen konzipiert wurden. Darüber hinaus erfordern Geräte vom Typ CF nicht nur spezielle medizinische Netzteile, sondern auch eine weitere Isolationsbarriere zwischen dem Netzteil und dem Kontaktpunkt mit dem Patienten.
Mit den strengeren Störfestigkeitsanforderungen der 4. Ausgabe kommt nunmehr auch die EMV-Leistung des Netzteils auf den Prüfstand. Aus diesem Grund sollten zur Vereinfachung des Richtlinienkonformitätsprozesses medizinische Netzteile gewählt werden, die den aktuellsten Ergänzungen der 3. Ausgabe (3.1) der Norm 60601-1 sowie den in der 4. Ausgabe genannten EMV-Standards genügen. Um Produkthersteller hierbei zu unterstützen, bietet DigiKey verschiedene interne und externe Netzteile von CUI an, die der Ausgabe 3.1 der Norm IEC 60601-1 und den EMV-Standards der 4. Ausgabe genügen. Dies vereinfacht die Zertifizierung und beschleunigt die Markteinführung.

Abbildung 2: CUI bietet verschiedene interne und externe Netzteile an, die den technischen Standards der 4. Ausgabe der Norm IEC 60601-1 genügen oder sie übertreffen. (Bildquelle: CUI, Inc.)
Jetzt handeln!
Die USA und die EU haben den Zeitrahmen für die zwingende Einhaltung der 4. Edition 60601-1 vereinheitlicht. Nach dem 31. Dezember 2018 müssen alle neuen Produkte, die bei der Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde der USA (FDA, Food & Drug Administration) eingereicht werden, der neuen Norm genügen. Die EU hat für ihre vorherige 3.1-basierte Norm EN 60601-1-2:2007 das gleiche Datum der Zurücknahme (DoW) festgelegt. Während ältere Geräte in den USA jedoch auch weiterhin noch verkauft werden dürfen, wird ein solches Zugeständnis in der EU nicht gemacht. Alle nach dem Datum der Zurückziehung importierten medizinischen Geräte müssen der 4. Ausgabe der Norm entsprechen. Daher ist es jetzt an der Zeit zu handeln.
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